Publisher's Synopsis
Excerpt from Ueber den Begriff des Sittlichen Ideals: Ein Vortrag
Ich habe Sie eingeladen, mit mir einige Betrachtungen uber den Begriff des sittlichen Ideals anzustellen. Allein diese Kennzeichnung des Gegenstandes durfte in Ihnen eine Erwartung erweckt haben, die ich gleich von Anfang an enttauschen muss. Ich bin nicht hierher gekommen, um Ihnen zu sagen, was das sittliche Ideal ist, oder was es sein soll: ob es in die grosstmogliche Liebe zu unsern Nebenrnenschen, oder in die grosstmogliche Herrschaft der Vernunft uber die Begierden, oder in die grosst mogliche Entfaltung unserer Anlagen und Krafte, oder in was es sonst zu setzen sei Ich habe nicht die Absicht, Sie zum Nachdenken uber diese Fragen anzu regen und ich kann diese Absicht nicht haben. Aus einem sehr einfachen Grunde. Die Vortrage, zu denen der heutige gehort, sind dazu bestimmt, Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung einem weiteren Kreise zu vermitteln. Aber die eben erwahnte Frage kann durch wissenschaftliche Forschung nicht gelost werden. Die Wissenschafl kann nichts anderes than als Thatsachen feststellen: einzelne Thatsachen sowohl als auch Zu sammenhange zwischen Thatsachen. Wissenschaftliche Fragen sind also Fragen nach dem, was ist. Aber die Frage nach dem Inhalte des sittlichen Ideals ist eine Frage, nicht nach dem, was ist, sondern nach dem, was sein soll. Und eine solche Frage kann die Wissenschafi nicht beantworten. Sie kann feststellen, wie die Menschenzu handeln pflegen, sie kann zeigen, welche Folgen dieses oder jenes Handeln hat, sie kann auch das Gefit des Sollens als Thatsache konstatieren und analysieren, aber sie kann in keiner Weise einem Menschen, der anders handeln will, der andere Folgen in den Kauf zu nehmen entschlossen ist, der auf sein Gefuhl keine Rucksicht nimmt, beweisen, dass er nicht so handeln durfe, dass er jene Folgen nicht bewirken solle, dass er diese Ruck sicht nehmen musse. Dieses negative Ergebnis ist so klar, und an so vielen alteren und neueren philosophischen Versuchen bewahrt, dass ich Sie ruhig auffordern kann, jede Versicherung sie moge nun mit den altesten oder den modernsten Begriffen, mit Gott oder mit Ent wicklung, mit Pflicht oder mit Gluck operieren es sei endlich gelungen, die Sittenlehre auf eine wissenschaft liche Grundlage zu stellen, das sittliche Sollen zu beweisen, von vornherein als falsch und trugerisch zu betrachten. Die Wertschatzung dessen, was gethan werden, und uber haupt dessen, was sein sollte, somit auch dessen, was ein Mensch sein sollte, d. H. Des sittlichen Ideals, wird allezeit abhangig bleiben von angeborenen und anerzogenen Gefuhlsweisen, von unsern Erlebnissen, von den Deutungen, die wir diesen zu Teil werden lassen, von dem Verhalten, das wir ihnen entgegensetzen, kurz von jener Lebens stimmung, die entweder in einer blossen weltanschauung oder in einer ausgestalteten Religion ihren Ausdruck findet und sie wird sich eben deshalb zu allen Zeiten einer fur alle Menschen in gleicher Weise giltigen, wissen schaftlichen Demonstration entziehen. About the Publisher Forgotten Books publishes hundreds of thousands of rare and classic books. Find more at www.forgottenbooks.com This book is a reproduction of an important historical work. Forgotten Books uses state-of-the-art technology to digitally reconstruct the work, preserving the original format whilst repairing imperfections present in the aged copy. In rare cases, an imperfection in the original, such as a blemish or missing page, may be replicated in our edition. We do, however, repair the vast majority of imperfections successfully; any imperfections that remain are intentionally left to preserve the state of such historical works.