Publisher's Synopsis
In den meisten Gesellschaften des Nahen Ostens nimmt die Prasenz von Frauen in der Offentlichkeit seit Mitte des 20. Jahrhunderts stetig zu. Die Regierungen fordern die Integration von Frauen in das offentliche Leben im Rahmen von Bildung und Berufstatigkeit und sehen darin einen Massstab fur den Fortschritt des Landes. Das gesellschaftliche Leben vieler Frauen spielt sich jedoch nach wie vor jenseits der staatlich organisierten Offentlichkeit ab, zum Beispiel in Form von gegenseitigen Besuchen zu Hause. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, inwieweit "Offentliches Leben in privaten Raumen" stattfinden kann und untersucht dies am Beispiel muslimischer Frauen in Damaskus. Dazu werden sowohl die Wertung von Offentlichkeit und Privatheit in der syrischen Staatsideologie in Zweifel gezogen, als auch die Ubertragbarkeit soziologischer und politikwissenschaftlicher Definitionen von Offentlichkeit hinterfragt. Mit Hilfe von Beobachtungen und Interviews sowie Beschreibungen in der Literatur analysiert die Autorin drei Formen gesellschaftlicher Zusammenkunfte, an denen ausschliesslich Frauen teilnehmen. Dabei handelt es sich einerseits um informelle Fruhstuckstreffen am Vormittag und andererseits um Empfange, die vor allem reprasentativen Charakter haben. Weiterhin werden Sparvereinigungen untersucht, mit deren Hilfe viele Damaszenerinnen kurzfristig uber grossere Geldsummen verfugen konnen. Alle diese Treffen finden in Privathausern und meistens im Wohnzimmer der Einladenden statt. Die dabei zu beobachtenden Handlungen und Verhaltensweisen der Frauen sowie die zur Sprache kommenden Themen lassen eine eindeutige Zuordnung derartiger Treffen in den Privatbereich nicht zu. Denn obwohl der raumliche Bezug zunachst auf einen privaten Charakter der Zusammenkunfte schliessen lasst, gelten bei den Frauentreffen spezielle Regeln, die diese als offentliche Ereignisse kennzeichnen. Auch geht es in den Gesprachen um gesellschaftliche Belange, die den Rahmen des Familiaren uberschreiten. Daraus ergibt sich die Frage, inwiefern ein Bereich, dessen Zuganglichkeit eingeschrankt ist, dennoch als offentlicher Raum verstanden werden kann. Ein Ergebnis der Arbeit ist, dass die untersuchten Frauentreffen wichtige gesellschaftliche Funktionen erfullen, die aus einer Untersuchung der sozialen Strukturen einer modernen nahostlichen Grossstadt wie Damaskus nicht ausgeschlossen werden sollten.